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Beitrag vom 30.01.2009
Offener Brief von Adriana Stern
Adriana Stern
Die jüdische Kinder- und Jugendbuchautorin fragt sich "Wie weit geht der Papst?" Nachdem Benedikt XVI. einen Holocaust-Leugner rehabilitiert hat, schweigt die deutsche Mehrheit. Sind wir noch Papst?
Nachdem Charlotte Knoblauch, Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, am 29.01.09 den Dialog mit der katholischen Kirche vorerst abgebrochen hat, zeigten deutsche Bischöfe ihr Verständnis für den Protest von Juden, wie Spiegel Online berichtete. Doch die Diskussion über die Aufhebung der Exkommunikation des Erzbischofs Marcel Lefebvre, Gründer der Bruderschaft Pius X, und des Bischofs Richard Williamson, scheint sich zu einem Gespräch zwischen Katholiken und Juden entwickelt zu haben, an dem sonst niemand teilnehmen will. Stellvertretend für alle, die über das große Schweigen entsetzt sind, veröffentlicht AVIVA-Berlin an dieser Stelle den ihr an die AVIVA-Redaktion gesandten offenen Brief von Adriana Stern:
Mit einem flauen Gefühl im Magen habe ich vor vier Jahren die Papstwahl verfolgt. Ein deutscher Papst? Wie wird das werden?
Ich weiß, es sollte keine Rolle spielen, woher ein Papst kommt und vielleicht, so sagte ich mir, ist es nicht richtig, Papst Benedict dem XVI zu misstrauen, "nur" weil er Deutscher ist und als Kind in der Hitlerjugend war.
Aber seit Montag bin ich zutiefst schockiert. Es ist viel schlimmer, als ich je befürchtet hatte.
Denn am Samstag, den 24.01.09 rehabilitierte der Papst Benedikt XVI. vier fundamentalistische Bischöfe, die der extremen Rechten nahe stehen.
Einer der rehabilitierten Bischöfe ist der Holocaustleugner Williamson. Er leugnet die historische Existenz des Holocaust offen: "Ich glaube, dass es keine Gaskammern gegeben hat. (...) Deutschland hat Milliarden und Abermilliarden DM – und jetzt Euros – bezahlt, weil die Deutschen unter einem Schuldkomplex leiden, sechs Millionen Juden vergast zu haben. Aber ich glaube nicht, dass sechs Millionen Juden vergast worden sind." Er bezifferte die Anzahl der in NS-Konzentrationslagern umgekommenen Juden auf rund 200.000, "aber nicht ein einziger in Gaskammern".
Die Staatsanwaltschaft Regensburg hat strafrechtliche Ermittlungen gegen Williamson wegen Verbreitung der sogenannten ´Auschwitzlüge´ aufgenommen.
Es muss, so denke ich, doch einen Aufschrei in sämtlichen Institutionen in Deutschland geben. Doch es bleibt seltsam still in der Gesellschaft. Protest wird beinahe nur von jüdischen Organisationen erhoben.
Andererseits: Es hat diesen Aufschrei auch vor knapp einem Jahr nicht gegeben. Als der Papst die Wiederzulassung des tridentinischen Ritus für die Heilige Messe in lateinischer Sprache und darin eine Neufassung der Karfreitags-Fürbitte vorgelegt hat. Darin heißt es ins Deutsche übersetzt: "Lasst uns auch beten für die Juden. Dass unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller Menschen." Im ordentlichen Ritus von 1970 heißt es dagegen: "Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will...".
Der Vergleich dieser beiden Gebete zeigt mehr als deutlich, dass Papst Benedict der XVI das Judentum nicht mehr als gleichberechtigte Religion akzeptiert.
Warum nahm der Papst schon vor einem Jahr in Kauf, Juden in der ganzen Welt zu brüskieren? Und sie jetzt zutiefst zu schockieren?
Sind diese beiden Entscheidungen des Papstes Zufall?
Die Mehrheit der Deutschen schweigt!
Die Nazis, ja, die reagieren! Sie jubeln und feiern den Papst, der sich nicht zum "Knecht des Judentums" machen lasse.
Doch die Mehrheit in Deutschland schweigt!
Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland haben in den letzten Jahren auf geradezu erschreckende Weise wieder Zugang zur gesellschaftlichen Mitte gefunden. Der Papst hat diese Tendenzen mit seiner Entscheidung massiv unterstützt und gefördert.
Doch die Mehrheit der Deutschen schweigt!
Schon wieder!
Adriana Stern
NRW, den 29. Januar 2009
Adriana Stern, geb. 1960, arbeitet als Kinder- und Jugendbuchautorin. Seit Jahren engagiert sie sich die studierte Sozialpädagogin für Kinderrechte und setzt sich mit dem "Anderssein" auseinander. Mehr Infos: www.adriana-stern.de
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